Das sagt die kjz-Expertin

Aufessen, schön essen, leise essen – welche Regeln machen am Familientisch Sinn?

Am Esstisch gibt es unzählige Normen. Nicht mit offenem Mund kauen, nicht mit vollem Mund reden, warten, bis alle fertiggegessen haben usw. Doch welche machen eigentlich Sinn? Und wie viele führen wir am besten aufs Mal ein? kjz-Expertin Tanja Citherlet über Manieren und Gepflogenheiten am Esstisch. 

Tanja Citherlet, welche Regeln empfehlen Sie Eltern für die gemeinsame Zeit am Esstisch?
Mit konkreten Empfehlungen bin ich immer vorsichtig. Jede Familie ist anders. Den einen ist wichtig, sitzen zu bleiben bis alle ausgegessen haben, den anderen, «schön» am Tisch zu sitzen. Ich empfehle daher vielmehr, sich als Eltern Gedanken zu machen, was ihnen selbst wichtig ist, und anhand davon die eigene Esskultur zu schaffen. Egal wie eine Familie das handhabt, wichtig ist eigentlich nur, dass Kinder von Anfang an ein gutes Verhältnis zum Essen haben dürfen. Nur von zwei Dingen rate ich ab: Von Bildschirmen am Tisch und von Zwang.

Bildschirme können am Esstisch aber manchmal wahre Wunder wirken …
Das ist so und der Wunsch, nach dem Gerät zu greifen, ist manchmal sehr verständlich. Kinder verlieren aber durch die Ablenkung den Bezug zum eigenen Appetit und Sättigungsgefühl. Umgekehrt kann der Blick auf den Bildschirm auch für Eltern verlockend sein, wenn sich etwa das Mittagessen eine gefühlte Ewigkeit in die Länge zieht. Doch der Esstisch ist ein Ort für Bindung, gegenseitiges Interesse und Austausch. Nur wenn wir die Geräte ganz beiseitelegen, können wir uns auch ganz aufeinander einlassen. Allenfalls empfehle ich sogar den Flugmodus.

Sie sagen, wir sollten Kinder nicht zum Essen zwingen. Wie ist es mit dem Aufessen?
Auch da nicht. Kinder haben ein natürliches Hunger- und Sättigungsgefühl. Schon die Kleinsten. Drehen sie beispielsweise den Kopf weg, ist das meist ein Zeichen dafür, dass sie genug haben. Übergehen wir solche Zeichen oder zwingen wir sie gar zum Essen, verlernen sie, auf dieses Gefühl zu achten. Stattdessen bewirken wir, dass Essen mit einem anderen, in der Regel negativen Gefühl verknüpft wird, das sich tief einprägt. So haben wir beispielsweise auch noch als Erwachsene ein schlechtes Gewissen, wenn wir nicht ausmachen, und essen lieber über den Hunger hinaus. Essen sollten wir aber nicht mit weiteren Emotionen verknüpfen.

Essen und Emotionen gehören aber schon zusammen.
Natürlich. Essen hat verschiedene Aspekte. Gerüche oder der Anblick können Erinnerungen und damit Emotionen auslösen. Zum Beispiel der Guetzliduft an Weihnachten. Essen reguliert auch Emotionen: Ist der Hunger gestillt, können wir wieder entspannen, energiegeladen oder guter Laune sein. Andere Verbindungen sollten wir aber vermeiden, da uns diese bis ins Alter prägen. Wenn ein Kind etwa weint, sollten wir es nicht mit Knabberzeug beruhigen oder trösten, solange nicht Hunger der Grund für die Krise ist. Ansonsten reguliert sich das Kind auch später mit Essen, wenn es etwa traurig ist oder Stress hat. 

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Und wie empfehlen Sie, die Regeln einzuführen, auf die sich Eltern geeinigt haben?
Gewisse Regeln braucht es am Esstisch, das sehe ich auch so. Ich würde aber nicht zu viele einfordern und gerade zu Beginn nicht alle aufs Mal. Als Eltern sind wir Vorbilder, Kinder lernen daher vieles nebenbei. Legen wir beispielsweise die mobilen Geräte konsequent weg, essen wir Gemüse oder kauen wir mit geschlossenem Mund, werden diese Umstände am Esstisch selbstverständlich. Ausdrücklich einfordern würde ich Regeln erst später und Schritt für Schritt. Eine aufs Mal reicht vollkommen, etwa «Ich möchte, dass du sitzen bleibst, bis ich fertig bin.» Und bis schliesslich alle gewünschten Verhaltensweisen am Esstisch sitzen, ist es wie mit allem anderen in der Erziehung: Wiederholen, wiederholen, wiederholen. Da kommt man nicht drum herum – lernen heisst wiederholen.

Tanja Citherlet ist Erziehungsberaterin und seit 2020 im kjz Dietikon tätig.

Tanja Citherlet

Tanja Citherlet ist Erziehungsberaterin und seit 2020 im kjz Dietikon tätig. Ihr psychologisches Wissen und ihre Erziehungskompetenzen hat sie sich über ihr Studium in Psychologie und in diversen Weiterbildungen angeeignet. Als Mutter von zwei Teenagern kennt sie viele der täglichen Herausforderungen im Familienalltag. Auch auf dem Fussballfeld ist sie anzutreffen; sie engagiert sich als Trainerin für die fussballerische Ausbildung der Kinder.