Das sagt die biz-Expertin

Auf Sinnsuche im Beruf

Wer Sinn empfin­det, über­nimmt mehr Verant­wor­tung, ist zufrie­de­ner, enga­giert sich mehr und hat deut­lich weniger Fehl­tage. Das zeigen Studien. Was hilft, dass sich unsere Arbeit sinn­voll anfühlt? Diese Frage wird Mirella Vella, Lauf­bahn­be­ra­te­rin im biz Uster, in ihren Bera­tun­gen oft gestellt.

Mirella Vella, wann fühlt sich eine Arbeit sinn­voll an?
Das Thema «Sinn» ist sehr komplex und wie so oft gibt es dafür kein Patent­re­zept. Den eigenen Sinn­quel­len auf die Spur zu kommen, ist für uns alle eine persön­li­che Heraus­for­de­rung und eine lebens­lange Aufgabe. Die Frage nach dem Sinn bei der Arbeit ist daher meist ein länge­rer Prozess, eine vertiefte Ausein­an­der­set­zung mit sich selbst, die sich in meinen Augen aber absolut lohnt. Gene­rell lässt sich sagen: Das Geld ist es nicht. Mehr Lohn führt nicht zwin­gend zu mehr Sinnerle­ben im Beruf, das zeigt die Forschung.

Sinn­haf­tig­keit kann auch mit Unan­ge­neh­mem verbun­den sein.

Was ist es dann?
Sinn ist immer subjek­tiv. Es geht um Fragen wie: Was ist mir wichtig? Wofür möchte ich meine Zeit und Energie einset­zen? Hier kommen wir alle auf unter­schied­li­che Antwor­ten. Für die einen ist es sinn­stif­tend, wenn sie mit ihrer Arbeit Menschen helfen können, für die anderen, wenn sie in der Natur arbei­ten. Einige brau­chen dazu einen möglichst klaren Aufga­ben­be­reich, andere brau­chen Gestal­tungs­spiel­raum oder die Möglich­keit zur Weiter­ent­wick­lung. Bei der Sinn­su­che geht es also darum, das Rich­tige und Wert­volle für sich selbst zu finden. So unter­schei­det sich der Sinn vom Glück, bei dem es in erster Linie um ange­nehme Gefühle geht. Sinn­haf­tig­keit hinge­gen kann auch mit Unan­ge­neh­mem verbun­den sein.

Gibt es dennoch einen gemein­same Nenner?
Die Sinn­for­sche­rin Tatjana Schnell defi­niert vier Merk­male, die sinn­stif­tend sind für Beruf und Arbeit: Meine Arbeit hat nach meinem Empfin­den für andere oder für die Gesell­schaft eine Bedeu­tung. Was ich tue, passt zu mir. Hinter den Zielen meiner Tätig­keit und meines Unter­neh­mens kann ich stehen. Ich fühle mich durch meine Arbeit zuge­hö­rig und wert­ge­schätzt. Je mehr Merk­male abge­deckt sind, desto sinn­vol­ler fühlt es sich für uns an.

Diese Krite­rien abzu­de­cken ist nicht bei allen beruf­li­chen Tätig­kei­ten einfach.
Das ist richtig. Doch kaum jemand deckt ein umfas­sen­des Sinnerle­ben nur über die Arbeit ab. Persön­li­ches Sinnerle­ben findet auch in der Familie statt, im Freun­des­kreis, bei Hobbys, in der Natur oder bei ehren­amt­li­chen Tätig­kei­ten. Es gibt unzäh­lige andere Sinn­quel­len, die Forschung bestä­tigt deren sechs­und­zwan­zig. Diese können sich wiederum positiv auf den Beruf auswir­ken.

Das Sinn­emp­fin­den sagt den gröss­ten Teil des Enga­ge­ments vorher.

Dennoch, wie wichtig ist es, dass wir auch bei der Arbeit Sinn empfin­den?
Das Sinn­emp­fin­den sagt tatsäch­lich den gröss­ten Teil des Enga­ge­ments vorher: Wer Sinn empfin­det, über­nimmt mehr Verant­wor­tung, ist zufrie­de­ner, enga­giert sich mehr und hat deut­lich weniger Fehl­tage. Das ist auch für das Unter­neh­men inter­es­sant, da es sich direkt in Umsatz und Erfolg umschla­gen kann. Ausser­dem ist die Arbeit in unserer Kultur ein ausge­spro­chen wich­ti­ger Lebens­be­reich, längst nicht nur bezüg­lich Einkom­men.

Kommt die Sinn­frage in Ihren Bera­tun­gen oft auf?
Ja. Wie gesagt, die beruf­li­che Tätig­keit spielt hier­zu­lande eine wich­tige Rolle und wir verbrin­gen eine Menge Zeit damit. Hinzu kommen immer mehr Möglich­kei­ten: In der Schweiz gibt es mitt­ler­weile über 2200 Berufe und Berufs­funk­tio­nen sowie 24‘000 Ange­bote im Aus- und Weiter­bil­dungs­be­reich! In dieser Fülle die eigene, sinn­stif­tende Rich­tung zu finden, ist anspruchs­voll. Gleich­zei­tig wandelt sich vieles wahn­sin­nig schnell, wir müssen uns laufend aktuell halten. Mit Verän­de­run­gen können aber nicht alle gleich gut umgehen, was einen eben­falls vor die Sinn­frage stellen kann. Und wenn immer mehr Prozesse digital ablau­fen oder von Spar­mass­nah­men betrof­fen sind, kann auch einmal der Gedanke aufkom­men: "Das ist ja gar nicht mehr der Beruf, den ich einst gewählt habe - wieso mache ich das eigent­lich?"

Selbst­er­kennt­nis hilft, ‹sinn­wärts› zu gehen.

Was kann ich vom biz erwar­ten, wenn ich nach mehr Sinn bei der Arbeit suche?
Wir gestal­ten unsere Bera­tun­gen immer indi­vi­du­ell und aufgrund der persön­li­chen Frage­stel­lung. Meist ist die erste Bera­tung der Anfang eines länge­ren Prozes­ses. In der Regel beginnt sie mit einer Stand­ort­be­stim­mung: Wo stehe ich? Bin ich richtig auf Kurs? Wo gab es allen­falls Verän­de­run­gen, die nicht mehr stimmen für mich? Aufgrund der eigenen Inter­es­sen, Werte und Fähig­kei­ten versu­chen wir dann, dem Sinn­po­ten­zial auf die Spur zu kommen. Wir setzen auch verschie­dene diagnos­ti­sche Tests und Arbeits­mit­tel ein. Selbst­er­kennt­nis hilft, den eigenen inneren Kompass zu richten und «sinn­wärts» zu gehen.

Hilf­rei­che Fragen auf der Sinn­su­che

  • Was waren meine Ziele, als ich meinen Beruf gewählt hatte?
  • Welche Ziele haben sich erfüllt, welche nicht?
  • Welchen Nutzen hat meine Arbeit für andere?
  • Was ist mir beson­ders wichtig im Beruf und im Privat­le­ben?
  • Wann empfinde ich beson­dere Freude?

Was können mögli­che Verän­de­run­gen sein?
Häufig planen wir gemein­sam kurz- und länger­fris­tige Ziele. Eine kurz­fris­tige Verän­de­rung könnte zum Beispiel ein inter­ner Funk­ti­ons- oder Stel­len­wech­sel sein oder ein neuer Verant­wor­tungs­be­reich. Länger­fris­tig könnten eine beruf­li­che Neuori­en­tie­rung und/oder eine umfas­sende Weiter­bil­dung folgen. Ein Beispiel aus einer Bera­tung: Eine gelernte Pharma-Assis­ten­tin war mit den Verän­de­run­gen in ihrem beruf­li­chen Umfeld sehr unzu­frie­den und hatte das Bedürf­nis nach mehr Sinnerle­ben. Nach mehre­ren Gesprä­chen entschied sie sich schliess­lich mit rund vierzig Jahren für ein Studium als Pfle­ge­fach­frau.

So ein Wechsel bedingt aber auch Ressour­cen, allein schon finan­zi­ell.
Das ist richtig. Die persön­li­chen und beruf­li­chen Umstände müssen diesen Schritt erlau­ben, genauso die Rahmen­be­din­gun­gen der neuen Ausbil­dung. Es gibt aber auch weniger radi­kale Möglich­kei­ten. Beispiels­weise das Job Enrich­ment, Job Enlar­ge­ment, Weiter­bil­dun­gen oder eine Teil­selbst­stän­dig­keit. Auch kann der Fokus auf ausser­be­ruf­li­che Sinn­quel­len gelegt werden, zum Beispiel durch eine persön­li­che Weiter­bil­dung, mehr Frei­zeit­ak­ti­vi­tä­ten oder mit sozia­len Kontak­ten. So entschied sich einmal einer meiner Kunden dazu, sein Pensum zu redu­zie­ren, um mehr Zeit in der Natur verbrin­gen zu können.

Persön­li­ches Stand­ort­ge­spräch im biz

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Zeich­net sich ein Trend hin zu mehr Sinn­su­che ab?
Ich arbeite mitt­ler­weile seit über zwanzig Jahren als Lauf­bahn­be­ra­te­rin und in meiner Erfah­rung war die Sinn­frage schon immer ein elemen­ta­res Thema. Studien zeigen aber tatsäch­lich einen gewis­sen Trend zu mehr Sinn­su­che während der Pande­mie­jahre. Diese Jahre führten zu viel Wandel und Unsi­cher­heit. Das hat womög­lich Sinn­fra­gen ange­regt. Abge­se­hen davon führt unsere Multi­op­ti­ons­ge­sell­schaft aber auch dazu, dass wir überall unzäh­lige Möglich­kei­ten haben. Nicht nur im Beruf! Ich denke, auch das stärkt den Wunsch nach Orien­tie­rung und nach Quellen, die für uns wichtig und wert­voll sind.

Mirella Vella ist Fachpsychologin für Laufbahn und Personalpsychologie und eidgenössisch diplomierte Berufs-, Studien- und Laufbahnberaterin.

Mirella Vella

Mirella Vella ist Fachpsychologin für Laufbahn- und Personalpsychologie FSP und eidgenössisch diplomierte Berufs-, Studien- und Laufbahnberaterin. Sie ist seit 2001 im biz Uster tätig und führt daneben eine eigene Praxis in Zürich.