Veränderung im Job

Von der Projektleiterin bei einer Versicherung hin zur Sozialen Arbeit

Ergibt meine Arbeit eigent­lich noch Sinn? Diese Frage kann aufkom­men, wenn alles im Wandel ist - Wirt­schaft, Arbeits­an­for­de­run­gen, wir selbst. In dieser Serie erzäh­len Berufs­tä­tige von Verän­de­run­gen, durch die sie im Job zu mehr Sinn­emp­fin­den gefun­den haben. Von punk­tu­ell bis radikal.


Ilenia Peluso arbei­tete bei einer Werbe­agen­tur und leitete anschlies­send ein zehn­köp­fi­ges Team als «Head of Brand» bei einer Versi­che­rung. Der Lock­down und eine beruf­li­che Begeg­nung mit jungen geflüch­te­ten Menschen gaben den Anstoss zu viel Refle­xion und einem radi­ka­len Neuan­fang. Heute studiert sie Soziale Arbeit.

Was zum Wechsel geführt hat

Meine Führungs­rolle als «Head of Brand» war eine grosse Heraus­for­de­rung, die ich nach anfäng­li­chem Zögern mit viel Freude und Enga­ge­ment ausführte. Ich verstand sie als meine persön­li­che Weiter­ent­wick­lung, durfte das Team ganz neu aufstel­len und viel Rekru­tie­rungs­ar­beit leisten. In dieser Rolle lernte ich vieles über mich, meine Grenzen, Stärken und Schwä­chen, aber auch meine Wert­vor­stel­lun­gen.

Der Zwang zum Home­of­fice brachte schliess­lich eine neue Dynamik in den Arbeits­all­tag. Was mir im Job wichtig war, also das Zwischen­mensch­li­che und der Team­zu­sam­men­halt, kam trotz Bemü­hun­gen um infor­melle Kaffee­pau­sen-Calls etwas abhan­den. Ich fühlte mich isoliert und weit weg von meinem Team bezie­hungs­weise den Menschen, die mit mir die Projekte stemm­ten und mir den Alltag versüss­ten. So begann ich, mich viel mit den Inhal­ten und dem Zweck meiner Arbeit ausein­an­der­zu­set­zen. Es kamen Fragen auf wie: «Was habe ich vom Job?», «Wie sinn­stif­tend ist meine Arbeit?», «Möchte ich das wirk­lich tun?», «Soll ich mich weiter­bil­den und wenn ja, wie?».

Eine unmit­tel­bare Antwort auf diese Fragen hatte ich nicht. In einem länge­ren Prozess versuchte ich zu reflek­tie­ren, in welchen Momen­ten ich mich bei meinen bishe­ri­gen beruf­li­chen sowie persön­li­chen Erfah­run­gen beson­ders leben­dig gefühlt hatte. Ich hatte diverse Ideen im Kopf, konnte sie jedoch noch nicht konkre­ti­sie­ren. Jedoch sah ich, dass die Arbeit mit Menschen ein gemein­sa­mer Nenner war.

Als meine Arbeit zu einem Abar­bei­ten von To-do-Listen wurde, wusste ich, dass ich handeln musste.

Ilenia Peluso, B.A. Business Communications

Bei meiner Arbeit hatten wir diverse Part­ner­schaf­ten im Spon­so­ring-Bereich. In diesem Zusam­men­hang durfte ich junge geflüch­tete Menschen im Rahmen eines Sport-Inte­gra­ti­ons­pro­gramms kennen­ler­nen. Ihre persön­li­chen Geschich­ten rührten und inspi­rier­ten mich und beschäf­tig­ten mich noch lange Zeit. Als ich schliess­lich merkte, dass sich meine Arbeit als Führungs­kraft ledig­lich zu einem Abar­bei­ten von To-do-Listen entwi­ckelte, wusste ich, dass ich handeln musste. Ich brauchte neue Perspek­ti­ven und reali­sierte, dass ich diese in einem komplett anderen Berufs­feld suchen musste. So begann ich mich in den Berei­chen Soziale Arbeit und Psycho­lo­gie umzu­schauen.

Was ich verän­dert habe

Nach vielen Gesprä­chen mit meinem Umfeld, Info­an­läs­sen und langen Recher­chen meldete ich mich für die Zulas­sungs­prü­fung des Studi­en­gangs «Soziale Arbeit» an. Ich kündigte meinen Job und trat ein sieben­mo­na­ti­ges Vorprak­ti­kum in einem Frau­en­haus an. Im Anschluss begann mein Studium in Sozia­ler Arbeit. Daneben arbeite ich heute zu 60 Prozent wieder in einer Werbe­agen­tur als Bera­te­rin. Dies gibt mir eine finan­zi­elle Sicher­heit, ohne meine Lebens­um­stände noch mehr auf den Kopf zu stellen.

Warum sich der Wechsel gelohnt hat

Mein Vorprak­ti­kum zeigte mir: Die Unter­schiede zum vorher­ge­hen­den Job sind enorm. Ich fühlte mich jedoch gleich am rich­ti­gen Ort und hatte ein sehr gutes Gefühl. Die Heraus­for­de­run­gen waren zwar gross und ich musste erst lernen, mich abzu­gren­zen und meine persön­li­che Balance zu finden. Ich vermisse meinen alten Job aber nie. Statt­des­sen entfachte sich endlich das innere Feuer, welches ich gesucht hatte.

Heute jongliere ich mit Studium, Neben­job und punk­tu­el­len Einsät­zen im Frau­en­haus. Aber ich fühle mich leben­dig. Meine Zeit ist mit für mich sinn­stif­ten­den Inhal­ten gefüllt und ich blicke zuver­sicht­lich auf all das, was mir noch bevor­steht.

Ich vermisse meinen alten Job nie. Statt­des­sen hat sich endlich das innere Feuer entfacht, welches ich gesucht habe.

Ilenia Peluso, heute Studentin Soziale Arbeit an der ZHAW

Was es für den Wechsel gebraucht hat

Zu Beginn lösten die finan­zi­el­len Folgen schon ungute Gefühle aus. Ich hatte zwar etwas ange­spart, aber meine Fixkos­ten waren hoch und die Zeit vom Vorprak­ti­kum bis zum Bache­lor­ab­schluss dauert insge­samt fünf Jahre, in denen weitere Pflicht­prak­tika kein durch­ge­hen­des Pensum erlau­ben. Nachdem ich offen mit meiner Familie über diese Ängste gespro­chen hatte, konnte ich aber etwas aufat­men. Ab da wusste ich, dass ich bei Engpäs­sen auf sie zählen konnte.

Meinen Entscheid machte ich vor allem mit mir selbst aus. Er festigte sich in unzäh­li­gen Gesprä­chen mit meinem Umfeld. Für mich stimmte das so. Ich könnte mir aber vorstel­len, dass sich der Such­pro­zess durch die Inputs einer profes­sio­nel­len Bera­tung allen­falls hätte verkür­zen können.

Das sagt die biz-Exper­tin

  • Wer nach Sinn fragt, möchte das Rich­tige und Wert­volle für sich selbst finden. So unter­schei­det sich der Sinn vom Glück.
  • Die Frage nach dem Sinn bei der Arbeit ist ein länge­rer Prozess – eine vertiefte Ausein­an­der­set­zung mit sich selbst.
  • Vier Merk­male sind gemäss Forschung für das Sinn­emp­fin­den wichtig: Meine Arbeit hat für andere, für die Gesell­schaft eine Bedeu­tung. Was ich tue, passt zu mir. Hinter den Zielen meiner Tätig­keit und meines Unter­neh­mens kann ich stehen. Ich fühle mich durch meine Arbeit zuge­hö­rig und wert­ge­schätzt.

Mehr zum Thema im Gespräch mit biz-Exper­tin Mirella Vella