Von Glückshormonen und freiem Spiel

Warum es Kindern so guttut, viel draussen zu spielen

Über Stock und Stein jagen, Bäche stauen oder Bäume beklet­tern – spielen an der frischen Luft tut Kindern gut. Warum ist es so wichtig, dass sie viel Zeit dafür bekom­men? Simone Gruen-Müller, Erzie­hungs­be­ra­te­rin im kjz Affol­tern, gibt Antwor­ten.

Simone Gruen-Müller, weshalb tut es Kindern gut, wenn sie draus­sen spielen?
Spielen an der frischen Luft hat unzäh­lige posi­tive Auswir­kun­gen: Kinder können draus­sen sprin­gen, hüpfen, klet­tern, frei und laut sein. Das Bedürf­nis nach diesem Herum­to­ben ist im Kind drin. Und ganz neben­bei fördert die Bewe­gung im Freien Gleich­ge­wicht, Motorik, Geschick­lich­keit, Wahr­neh­mung oder beugt etwa Kurz­sich­tig­keit vor. Die Eltern wiederum können das Unbän­dige und Laute draus­sen besser zulas­sen und aushal­ten. Darüber hinaus zeigen Studien direkte körper­li­che Effekte. So werden etwa die Glücks­hor­mone Dopamin und Sero­to­nin vermehrt ausge­schütt­tet und der Korti­sol­spie­gel sinkt. Das baut Stress ab, macht ausge­gli­chen und enst­pannt. Deshalb höre ich viele Eltern sagen: «Wenns zuhause drunter und drüber geht, gehen wir raus.» Die glei­chen Effekte hat das Draus­sen­sein übri­gens auch bei uns Erwach­se­nen. Fast am wert­volls­ten finde ich aller­dings, dass Kinder im Freien auf eine ganz andere Weise zum freien Spiel ange­regt werden.

Inwie­fern ist das Spiel draus­sen anders?
Drinnen sind die Spiel­sa­chen meist schon gegeben. Wald, Wiese, Wasser oder Stein­bra­chen hinge­gen regen die Fanta­sie und Krea­ti­vi­tät ganz anders an: Kinder begin­nen auszu­pro­bie­ren. Sie entde­cken, entwi­ckeln Pläne, stauen, bauen, schaf­fen Neues. Zu sehen, wie vertieft sie dabei oft sind, ist etwas Wunder­ba­res. Dabei lernen sie, sich selbst einzu­schät­zen, und erleben sich selbst­wirk­sam: Mir gelingt, was ich plane, ich kann das. Oft zeigen sie dabei eine erstaun­li­che Ausdauer, auch wenn etwas nicht auf Anhieb klappt. Bauen Kinder im Haus Dinge wie Hütten oder Parcours, hat das ähnli­che Effekte. Draus­sen werden sie aber meist durch nichts vom Auspro­bie­ren abge­lenkt und fallen abends viel eher nicht über­reizt, dafür müde und erfüllt ins Bett.

Fehlt es Kindern heute an Zeit im Freien?
Wenn Eltern selbst gerne draus­sen sind, ermög­li­chen sie es meist auch gerne ihren Kindern. Dennoch denke ich, dass das freie Spiel immer wieder zu kurz kommt. Wenn sich Kinder vermehrt zuhause beschäf­ti­gen, wider­spricht das aller­dings ihrem Natu­rell. Kinder brau­chen Raum zum Entde­cken. Alleine schon, um immer wieder auszu­pro­bie­ren, wie weit sie sich schon von ihren Bezugs­per­so­nen auf eigene Faust zu entfer­nen getrauen. Spielen sie ausschliess­lich mit ihren Spiel­sa­chen, laufen sie Gefahr, das kind­li­che Auspro­bie­ren zu verler­nen. Sie fühlen sich dann hilflos ohne Anlei­tung von Erwach­se­nen oder den Auffor­de­rungs­cha­rak­ter von Play­mo­bil, Puppen­haus oder Renn­auto. Manche trauen sich so auch gar nicht erst, Sand, Erde oder Laub anzu­fas­sen, um damit etwas zu erschaf­fen.

Was tun, wenn die Kinder gerade lieber Stuben­ho­cker sein wollen?
Über­gänge lösen immer Gefühle aus. Kinder wissen dann oft nicht, was genau auf sie zukommt. Das kann Wider­stand auslö­sen. Viel­leicht waren sie eben noch in ihr Spiel drinnen vertieft – vergli­chen damit kann das Raus­ge­hen im ersten Moment lang­wei­lig sein. Die Eltern dürfen daher nicht immer den grossen Jubel erwar­ten, wenn sie das Haus verlas­sen. Doch sie dürfen getrost die Führung über­neh­men, im Wissen «Das tut uns gut». Über­gänge brau­chen immer etwas Zeit und solange gilt es, das Maulen nicht auf sich zu bezie­hen und mögli­che Lange­weile einen Moment auszu­hal­ten. Die Ideen werden bald kommen.

5 Anre­gun­gen rund ums Raus­ge­hen

  1. Kinder stört das Wetter viel weniger als Erwachsene
    Pfützen im Regen oder natür­li­che Schlamm­rut­schen ziehen gar magisch an. Kinder brau­chen aber wetter­feste Ausrüs­tung.
  2. Kinder profi­tie­ren, wenn sie viel selber auspro­bie­ren
    Wenn die nahe­lie­gende Lösung noch nicht entdeckt wird, braucht es manch­mal etwas Geduld von den Erwach­se­nen. Ideen oder Anre­gun­gen können einge­bracht werden, Kinder sollten aber stets Kapitän und Kapi­tä­nin ihres Schiffs sein und sagen dürfen, welche Unter­stüt­zung sie für ihre Pläne gerade brau­chen.
  3. Routine und Rituale helfen beim Über­gang
    Je alltäg­li­cher das Raus­ge­hen ist, desto einfa­cher. Ist der Wider­stand gross, hilft es, sich auf die gemein­same Unter­neh­mung zu fokus­sie­ren und nicht auf das Verlas­sen des Hauses.
  4. Die Natur bringt oft mehr Ruhe als Bild­schirm­zeit
    Auch wenn mit iPhone und Co. für den Moment Ruhe einkehrt: Grund­sätz­lich möchten Kinder aktiv sein, etwas in Bewe­gung setzen oder gestal­ten können. Wägen Sie daher ab, ob Ihr Kind gerade wirk­lich passive Zeit vor dem Bild­schirm braucht.
  5. Wenn Sie selbst nur ungerne draus­sen sind, …
    … können viel­leicht Gotte, Götti, die Nach­barn oder Gross­el­tern diesen Teil abde­cken? Allen­falls gibt es in Ihrer Nähe auch Ange­bote wie den Wald­kin­der­gar­ten oder auf dem Bauern­hof.
Simone Gruen-Müller ist Erziehungsberaterin im kjz Affoltern. Sie ist Fachpsychologin SBAP in Kinder- und Jugendpsychologie, Kinder- und Jugendpsychotherapeutin SBAP und Spezialistin bei OHG-Befragungen.

Simone Gruen-Müller

Simone Gruen-Müller ist Erziehungsberaterin im kjz Affoltern. Sie ist Fachpsychologin SBAP in Kinder- und Jugendpsychologie, Kinder- und Jugendpsychotherapeutin SBAP und Spezialistin bei OHG-Befragungen. Während vieler Jahre war sie im schulpsychologischen Dienst, in der Kinder- und Jugendpsychiatrie sowie in der eigenen Praxis tätig.