Fragen zur Erziehung und Entwicklung Ihrer Kinder und zum Familienalltag? Die Fachleute unserer Kinder- und Jugendhilfezentren (kjz) beraten Sie gern.
Zum kjz-Beratungsangebot«Bei Jugendgewalt geht es oft um Männlichkeitsbilder, Vorbilder aus Games, YouTube oder TikTok»
Die Gewalterfahrungen von Jugendlichen haben in den letzten Jahren zugenommen. Das zeigt eine Studie im Kanton Zürich. Gewaltberater Alexander Michel im Gespräch, unter anderem zur Frage, wie Eltern und Jugendliche damit umgehen sollen.
Seit 1999 werden rund alle sieben Jahre Tausende Jugendliche im Kanton Zürich zu ihren Erfahrungen mit Gewalt befragt. Die neusten Ergebnisse der Studie zeigen zwar auch positive Entwicklungen: So sind etwa die Konsumraten von Alkohol und insbesondere Tabak und Cannabis seit Jahren rückläufig. Die Zunahme der Jugendgewalt gibt allerdings zu denken. Mehr zu den Ergebnissen der Studie finden Sie in diesem Beitrag.
Die Daten zeigen, dass sich ein Grossteil der Gewalt im öffentlichen Raum abspielt und zwar vermehrt zufällig, also ohne provokativen Auslöser, und unter Jugendlichen, die sich nicht kennen. Jugenddienste, Polizei und Jugendanwaltschaft wollen darauf mit verschiedenen Massnahmen reagieren und noch verstärkter zusammenarbeiten. Doch was können Eltern ihren Jugendlichen raten? Gewaltberater und Selbstbehauptungstrainer Alexander Michel beschäftigt sich in seinem Alltag mit dem Thema, vor allem mit der Perspektive der Jungs.
Alexander Michel, worum geht es bei Aggression und Gewalt unter Jugendlichen?
Aggression ist eigentlich nicht grundsätzlich schlecht. Aggressiv sein heisst auch: Ich bin aktiv und handle. Müssen wir uns zur Wehr setzen, ist dies unerlässlich. Gewalt hingegen hat nur eine Botschaft: Ich verletze dich. Gewalttätig ist jemand, der sich meist nicht gut genug ausdrücken kann und darum jemanden körperlich verletzt oder Verletzung androht. Jungen sind häufiger Opfer von gewalttätigen Konflikten, weil sie sich auf Provokationen einlassen. Dabei geht es oft um Männlichkeitsbilder, Vorbilder aus Games, Youtube oder TikTok, um populäre Meinungen darüber, wie ein «richtiger Mann» zu sein hat.
Wo haben wir Eltern Handlungsspielraum?
Diese Bilder müssen sich ändern. Es ist nicht cool, andere zu bedrohen oder zu verletzen. Jungs müssen aber auch bei einer Provokation oder einem Angriff nicht immer stark und überlegen sein. Weggehen ist mutig. Wer in Ruhe weggeht, zieht nicht einfach den Schwanz ein, sondern lässt sich nicht von anderen steuern. Er entscheidet und handelt bewusst, vermeidet dadurch Schlimmeres und beschützt sich selbst. Darüber sollten Eltern mit ihren Söhnen reden. Und sie im alternativen Handeln bestärken, etwa wie man Konflikte mit Worten löst.
Gibt es Verhaltensweisen, die in allen Konfliktsituationen hilfreich sind?
- Nie auf Provokation eingehen, ignorieren.
- Umschauen und wenn möglich von Anwesenden Hilfe einfordern.
- Anwesende direkt ansprechen oder sich nicht scheuen, laut um Hilfe zu rufen.
- Wenn es doch zur Eskalation kommt, immer aktiv bleiben und handeln.
- Am besten die Konfliktsituation so schnell wie möglich verlassen.
Wenn es doch eskaliert, kann manchmal auch paradoxes, unerwartetes Verhalten erfolgreich sein. So hat sich ein Mitarbeiter der Interventionstruppe sip züri einmal zwischen zwei Streitende gestellt, den einen fixiert, plötzlich auf seine Füsse geschaut und gesagt: «Du hast ja mega schöne Schuhe!» Das hat die Spannung gelöst.
Was raten Sie Jungs für die Zeit nach einem unangenehmen oder beängstigenden Erlebnis?
Unbedingt darüber reden! Mit den Eltern, mit der Lehrperson, mit Kollegen, in der Klasse. Das gehört zur Selbstsorge und ist immens wichtig. Keiner sollte allein bleiben mit einem solchen Erlebnis. Es ist mutig, sich mitzuteilen und sich Hilfe zu holen. Wenn das keiner macht, haben alle Betroffenen das Gefühl, sie seien die einzigen, denen so etwas passiert ist.
Wie können Kinder Selbstvertrauen entwickeln und sich in einer schwierigen Situation selber behaupten?
Wir verwenden bei uns in den Kursen das Bild der Hand. Jeder Finger symbolisiert einen wichtigen Trainingsbereich und die zugehörigen Fertigkeiten: Dazu gehören die Wahrnehmung, also das bewusste Wahrnehmen von eigenen Gefühlen, Grenzen und der Situation, die Entscheidungsfähigkeit, die Suche nach Kooperation, die Sprache sowie die Schulung von Körper und Kraft. Jeder einzelne dieser Bereiche sollte trainiert werden, im Gespräch, durch Übungen und Erfahrung. Mit Eltern, mit Kollegen und in der Schule. Zusammen bilden die fünf Finger die «Hand der Selbstbehauptung», die mehr ist als die Summe der einzelnen Finger: ein geschicktes, bewegliches und starkes Werkzeug im Umgang mit Grenzen, Konflikten und Bedrohungen.
Fach- und Beratungsstellen in Zürich
- feel-ok.ch und feel-ok.ch Zürich
Umfangreiche Informationen rund um Gewalt und andere Themen für Jugendliche - Gewalt? Geht gar nicht!
Kampagne und Angebot für ratsuchende Kinder und Jugendliche der Opferberatung Zürich - lilli.ch
Umfassendes Online-Angebot u. a.rund um Gewaltprävention für Jugendliche - no-front.ch
Wegweiser für eine starke Jugend. Plattform der Kantonspolizei Zürich sowie der Stadtpolizei Zürich und Winterthur. - Opfer Beratung Zürich
Beratung und Hilfe für jegliche Formen von Gewalt - Schweizerisches Institut für Gewaltprävention
Mit einer Unterseite für Eltern - zukrass.ch
Kampagne für Jugendliche, die körperliche, sexuelle oder psychische Gewalt erlebt haben, vom Kanton Zürich, der Kantonalen Opferhilfestelle und der Opferhilfe Zürich - Auch die Erziehungsberatung in den Kinder- und Jugendhilfezentren (kjz) in Ihrer Region hilft gerne weiter.