Trennung und Scheidung – Kinder erzählen

Streit, der schwer über allem liegt, aber nie angesprochen wird

Kinder kommen bei einer Tren­nung ihrer Eltern oft kaum zu Wort. Dabei tragen sie am Leid meist mehr mit, als es ihren Eltern in diesem Moment bewusst ist. In dieser Reihe erzäh­len Schei­dungs­kin­der rück­bli­ckend, wie sie es damals erleb­ten, als die Bezie­hung ihrer Eltern zerbrach.

Ein Erfah­rungs­be­richt von Leandra Meile*, damals 11 Jahre alt

Die Erin­ne­run­gen an meine unbe­schwerte Kind­heit gehen in der Erin­ne­rung an eine Zeit voller destruk­ti­ver Stim­mung und Streit vor der Tren­nung meiner Eltern fast ein biss­chen unter. Das ist schade, denn ich hatte eigent­lich genau eine solche Kind­heit, unbe­schwert und schön.

Die nega­tive Stim­mung begann, als ich unge­fähr elf Jahre alt war. Meine Eltern zogen sich vermeint­lich unbe­merkt zurück oder strit­ten nachts, wenn sie dachten, niemand sonst wäre mehr wach. Das war sicher gut gemeint, aber Kinder nehmen solche Span­nun­gen wahr. Luft, die zum Schnei­den dick ist, die fehlen­den Kräfte, die Ermü­dung – es ist nicht schwer, all das zu spüren. Aber es ist schwer, es einzu­ord­nen oder gar zu verste­hen.

Wenn ich sie nachts strei­ten hörte, hiess es immer: «Wir disku­tie­ren nur, wir strei­ten nicht.» Auch das war sicher gut gemeint, ist aber, was ich mir von meinen Eltern am meisten anders gewünscht hätte. Denn als Kind möchte man beides, sowohl dieser Aussage glauben als auch den Eltern allge­mein. Deshalb redet man sich ein, dass es stimmt, was sie sagen, selbst wenn das so wenig mit dem über­ein­stimmt, was man selbst fühlt und wahr­nimmt. Mit dieser Diskre­panz wusste ich kaum umzu­ge­hen und da ich mich an nieman­den wenden konnte, nahm der Wider­spruch seinen Raum in mir drin ein. Wie bei einem Fenster, das aus uner­klär­li­chen Gründen unter Span­nung steht, während von aussen alles ganz normal und klar aussieht.

Als Kind möchte man glauben, dass die Eltern nicht strei­ten.

Wie man damit als Kind umgeht, ist wohl sehr unter­schied­lich. Die einen suchen sich viel­leicht ein Ventil für diese Span­nung, werden aufmüp­fig oder wenden sich an Freunde oder andere Vertrau­ens­per­so­nen. Ich hinge­gen behielt es in mir drin und redete mir ein, dass das alles normal sei, sie disku­tier­ten ja nur, wohl auch zusätz­lich dadurch unter­stützt, dass meine Eltern mir vorleb­ten, Probleme privat zu halten.

Ich kann bis heute nicht so richtig verste­hen, warum es nieman­dem ein Anlie­gen war, uns Kindern ein biss­chen Orien­tie­rung zu geben oder es wenigs­tens zu versu­chen. Erwach­sene haben so viel Lebens­vor­sprung, Kinder können auf wenig zurück­grei­fen. Statt­des­sen tat das ganze Umfeld nach der Tren­nung so, als wäre nichts passiert. Gross­el­tern, Tanten, Onkel, sogar Psych­ia­ter im engsten Freun­des­kreis meiner Eltern. Ich wünsche mir, dass ich die Augen nie so verschliesse, wenn ich solche Belas­tungs­pro­ben wahr­nehme. Man muss sich ja nicht aufdrän­gen, aber ich glaube nicht, dass es je falsch sein kann, Hände anzu­bie­ten, wenn man anschlies­send abwar­tet, ob sie gewünscht sind.

Ich verstand nicht, hätte Fragen gehabt. Auch wenn man die Antwor­ten in dem Moment selbst nicht hat, ich glaube, alle Versu­che auf die Bedürf­nisse der Kinder einzu­ge­hen, sind besser als ein abrup­ter Weggang eines Eltern­teils kombi­niert mit viel Schwei­gen. So versucht man sich die Dinge selbst zu erklä­ren ohne es zu können; man kommt in Loya­li­täts­kon­flikte, macht unbe­hol­fene Versu­che, für Gerech­tig­keit zu sorgen bis hin zum Kontakt­ab­bruch, was doch eigent­lich alles gar nicht Aufgabe eines Kindes sein sollte.

Lese ich heute, dass ungüns­tige Kommu­ni­ka­tion Folgen für Schei­dungs­kin­der haben kann, kann ich dem nur zustim­men. Vor allem wenn man Kindern einre­det, dass sie sich Wahr­ge­nom­me­nes nur einbil­den, verun­si­chert man sie. Und das in einer Zeit, in der sie eigent­lich gerade im Gegen­teil entschei­dende Erfah­run­gen von Vertrauen in sich selbst und in die engsten Bezugs­per­so­nen machen sollten. Bei mir war dadurch auch noch lange danach nicht viel Klares zu hören, wo sich Freunde von mir auf ihren Bauch verlas­sen konnten.

Ich wünsche mir, dass ich die Augen nie so verschliesse, wenn ich Belas­tungs­pro­ben bei anderen wahr­nehme.

Dass der Bruch der Familie genau den Über­gang von der Kind­heit in die Jugend betraf, war sicher nicht ideal. Doch eine Tren­nung sollte doch eigent­lich unab­hän­gig vom Zeit­punkt nichts ausschliess­lich Nega­ti­ves sein. Denn wenn der Streit im gemein­sa­men Zuhause durch eine Verän­de­rung auch einmal ein Ende nehmen kann, ist das doch auch eine Erleich­te­rung.

Ich kann mir vorstel­len, dass Eltern das in dieser belas­ten­den Situa­tion nicht so sehen können und stark mit sich selbst beschäf­tigt sind. Aber Kinder merken alles, jeden fiesen Wink und jeden vermeint­lich unbe­merk­ten Blick zum Partner. Ich wünschte mir deshalb, dass sich Eltern der Auswir­kun­gen ihres Verhal­tens besser bewusst sind und dass dadurch auch das Gefühl von Erleich­te­rung nach der Tren­nung schnel­ler einkeh­ren kann. Denn auch als die Tren­nung schon lange durch war, kann ich mich an kein Jugend­jahr erin­nern, in welchem die Destruk­ti­vi­tät des Streits nicht bleiern über sämt­li­chen eigenen Entwick­lungs­schrit­ten mitge­han­gen wäre. Dabei sollten Ehepro­bleme doch genau das sein, was sie sind: Ehepro­bleme. Und die Kinder sollten weiter­hin eine Mutter, einen Vater und Eltern haben dürfen. Egal wie deren Zivil­stand auf dem Papier genau aussieht.

* Name geän­dert

Gesam­melte Kinder­wün­sche

  • Bitte lasst uns als Familie mitein­an­der über die Tren­nung reden.
  • Holt euch Hilfe, wenn das Reden schwer­fällt.
  • Bitte gebt uns zu spüren, dass ihr die Verant­wor­tung für eure Bedürf­nisse und Hand­lun­gen über­nehmt und das nicht unsere Aufgabe ist.
  • Bitte gebt uns das Gefühl, dass wir nicht für die Verän­de­run­gen verant­wort­lich sind.
  • Bitte lasst uns weiter­hin zu euch beiden ohne schlech­tes Gewis­sen eine Bezie­hung haben. Wir haben euch beide gern.
  • Bitte zeigt uns, dass euer Konflikt nur eure Part­ner­schaft betrifft und nicht uns oder euch als Eltern.

Unter­stüt­zung für Eltern in Tren­nung

Eine Tren­nung müssen Sie nicht alleine durch­ste­hen. Im Kanton Zürich unter­stüt­zen Sie die Kinder- und Jugend­hil­fe­zen­tren (kjz) an drei­zehn Stand­or­ten.

Mehr zu Wie die kjz Fami­lien in Tren­nung unter­stüt­zen


Lesen Sie hier alle unsere Beiträge zum Thema Tren­nung und Schei­dung von Eltern.

Medi­en­emp­feh­lun­gen zum Thema

Die Empfeh­lun­gen für Kinder und Eltern der Stadt- und Regio­nal­bi­blio­thek Uster sowie die im Folgen­den aufge­lis­te­ten Medien der PBZ Pesta­lozzi Biblio­thek Zürich sind in diver­sen Biblio­the­ken des Kantons Zürich zu finden.

Für Kinder

  • Juris erklärt dir deine Rechte | Kinder­rechte bei einer Tren­nung oder Schei­dung und Kindes­schutz | Monika Spring und Patrick Fassbind
    Eine Geschichte zum Lesen, Erzäh­len und Spielen über die Rechte von Kindern in einem Verfah­ren (Geschichte mit recht­li­chen Infor­ma­tio­nen)
  • Was, wenn Eltern ausein­an­der­ge­hen? | Dagmar Geisler
    Sachbilderbuch, Geschichte mit Infor­ma­tio­nen zur Diskus­sion mit Kindern ab 5 Jahren
  • Und was wird jetzt mit mir? | Schei­dung – Die besten Antwor­ten auf wich­tige Kinder­fra­gen | Jan von Holle­ben, Arne Jorgen Kjos­bak­ken, Dialika Neufeld
    Ratgeber für Kinder
  • Juri West sieht rot | Doris Meissner-Johannknecht
    Kinderroman ab 8 Jahren, thema­ti­siert die neue Wohn­si­tua­tion und den sozia­len Abstieg des Vaters
  • Tilda und der Duft der Welt | Karin Koch
    Geschichte zum Thema Sehn­sucht nach dem Vater, zum Vorle­sen
  • Papa wohnt jetzt anderswo | Gergely Kiss
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  • Ich hab jetzt zwei Kinder­zim­mer | Véro­ni­que Puts
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  • Und Papa seh ich am Wochen­ende | Martina Baum­bach, Barbara Korthues
    Bilderbuch

Für Eltern

  • Eltern bleiben nach der Tren­nung | Was Ex-Partner für sich und ihre Kinder wissen sollten | Mari­anne Nolde
  • Schei­dung | Faire Rege­lun­gen für Kinder – gute Lösun­gen für Wohnen und Finan­zen | Daniel Trach­sel
  • Wenn Eltern sich strei­ten | Fami­li­en­kon­flikte: Schlacht­feld oder Chance? | Hans-Jürgen Gaugl
  • Die Luft brennt | Kinder im Tren­nungs­krieg | Char­lotte Michel-Biegel
  • Gemein­sam Eltern bleiben | Trotz Tren­nung oder Schei­dung | Margret Bürgis­ser
  • Glück­li­che Schei­dungs­kin­der | Was Kinder nach der Tren­nung brau­chen | Remo H. Largo, Monika Czernin
  • Kindern bei Tren­nung und Schei­dung helfen | Psycho­lo­gi­scher und juris­ti­scher Rat für Eltern | Claus Koch, Chris­toph Stre­cker
  • Mut zur Tren­nung | Plädoyer für eine mutige und produk­tive Entschei­dung – Kinder brau­chen Aufrich­tig­keit | Jutta Martha Beiner