Bei den Mütter- und Väterberaterinnen (MVB) unserer kjz können Sie die Themen besprechen, die Ihnen nach der Geburt Ihres Kindes am Herzen liegen.
Zum Angebot«Sicher gebundene Kinder haben verlässliche Eltern – nicht perfekte»
Über Bindung wird heute viel gesprochen. In der Erziehung ist sie ein grosses Thema. Dies kann Eltern auch unter Druck setzen. Mütter- und Väterberaterin Nadine Lamparter geht darauf ein, was es für eine sichere Bindung benötigt.
Nadine Lamparter, merken Sie in Ihren Beratungen, dass sich Eltern beim Thema Bindung unter Druck setzen?
Die Frage, wie Eltern das mit der Bindung am besten anstellen sollen, nimmt heute tatsächlich viel mehr Raum ein. Bindung ist ein wichtiges Thema. Das Wichtigste, was ich den Eltern aber auf den Weg gebe, ist: Für eine sichere Bindung brauchen Kinder keine perfekten Eltern.
Was brauchen Kinder dann?
Sie brauchen feinfühlige Eltern, die ihre Bedürfnisse wahrnehmen, richtig interpretieren und angemessen darauf reagieren. Das bedeutet aber nicht, dass Eltern permanent verfügbar und fehlerlos sein müssen. Es geht um eine liebevolle zugewandte Haltung, die dem Kind zeigt: Ich bin hier und will für dich da sein. Der Kinderarzt Herbert Renz-Polster sagte dazu so schön: Kinder würden sich an der Grundmelodie orientieren – nicht an den Ausnahmen, wenn man mal die Fassung verliere oder nicht ratgeber-konform reagiere. Denn sie seien darauf vorbereitet, mit nicht-perfekten Eltern zu leben. Umgekehrt brauchen wir Eltern hoffentlich auch keine perfekten Kinder. Oder müssen unsere Kinder wirklich in allen Situationen und unter allen Umständen alles im Griff haben? Ihre Gefühle immer kontrollieren, die Reaktionen optimal anpassen? Ich denke, «good enough» ist viel wert.
Warum ist Bindung so wichtig für das Kind?
Bindung hat eine Doppelfunktion. Sie gibt zum einen Halt, Trost, Sicherheit und Selbstwert. Das ist Rüstzeug für das ganze spätere Leben. Schon von Geburt an zeigen Kinder mit gewissen Signalen ein Bindungsverhalten, zum Beispiel indem sie weinen, wenn sie sich unwohl fühlen. Wenn diese Signale von den Eltern wahrgenommen und angemessen befriedigt werden, erfährt das Kind, dass es sich auf die Eltern verlassen kann. Ist dieses Grundbedürfnis nach Sicherheit gedeckt, ermöglicht dies einem Kind zum anderen, seinem natürlichen Entdeckungsdrang nachzugehen. Die beiden Verhaltenssysteme – Bindung und Exploration – sind also miteinander verknüpft und bilden die sichere Basis dafür, dass ein Kind die Welt entdecken, eigene Erfahrungen machen und Neues lernen kann. Daher ist es ebenso wichtig, dass sich Kinder auch wieder von der Bezugsperson lösen und in Kontakt zur Welt ausserhalb der Kleinfamilie treten können. In der Diskussion wird dieser zweite Teil momentan oft weniger gewichtet.
Als Bezugspersonen sollte man für die sichere Bindung verfügbar sind. Auch das kann unter Druck setzen. Niemand kann permanent verfügbar sein.
Das ist so. Manchmal hat man keine Zeit, ist müde oder hat den Kopf nicht frei. Das ist das Leben. Doch wie gesagt, die Grundmelodie ist wichtig. Das Kind muss genug oft erfahren, dass ihm grundsätzlich geholfen wird. Und dass man als Eltern in der gemeinsam verbrachten Zeit präsent und achtsam ist: Was beschäftigt mein Kind gerade? Was braucht es und was braucht es nicht? Worauf ist es neugierig?
Sicherer Start ins Leben
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Manchmal sind die Umstände auch aus anderen Gründen erschwert. Etwa bei exzessivem Weinen oder wenn das Kind zum Beispiel wegen einer Entwicklungsverzögerung wenig Kontakt zu anderen sucht. Auch wenn die Eltern selbst hoch belastet sind, weil sie zum Beispiel schwierige eigene Bindungserfahrungen mitbringen oder eine postpartale Depression oder Trennung durchmachen, kann das Auswirkungen auf die Bindung haben. Aber auch das heisst noch nicht, dass deshalb die ganze Entwicklung gefährdet sein muss.
Negative Erfahrungen mit Bindungen können also korrigiert werden?
Einerseits darf man nicht vergessen, dass auch andere Bezugspersonen sichere Bindungserfahrungen ermöglichen können. Bindung ist nicht auf die Mutter oder den Vater beschränkt. Andererseits ist die Idee, dass die ersten drei Jahre matchentscheidend sind für ein ganzes Leben, nicht unbestritten. Sichere Bindungserfahrungen sind prägend für die Entwicklung, ja. Es gibt aber auch kritische Stimmen, die sagen, dass es nicht so absolut ist, dass auch andere Faktoren mitspielen und die Entwicklung über die sensible Phase der ersten Jahre hinaus andauere. Somit können negative Bindungserfahrungen später noch ausgeglichen werden. Man kann ihnen sozusagen das ganze Leben lang den letzten Schliff geben. Gleichzeitig bedeutet es aber auch, dass Eltern nicht alles beeinflussen können.
Deshalb sorgen sich Eltern vielleicht besonders um jenen Bereich und jene Lebensphase der Kinder, die sie beeinflussen können. Etwa dass sie die Bindung gefährden, wenn sie sich dem Bedürfnis des Kindes einmal widersetzen.
Viele Eltern haben ein schlechtes Gewissen, wenn sie bei ihren Kleinkindern einmal die Stimme erheben oder Nein sagen. Es gibt aber Situationen, in denen man die Kinder frustrieren muss, weil sie unsere Beweggründe nicht nachvollziehen können. Und es gibt auch Momente, in denen es nicht nötig ist, alle Beweggründe darzulegen oder in denen wir sie damit überfordern würden. Kinder können und sollen lernen, dass unangenehme Gefühle wie Wut und Frust dazugehören, dass diese Gefühle aber wie eine Welle auch wieder vorbeigehen und mit etwas Übung aushaltbar werden. Sei es, weil es Bezugspersonen gibt, die ihnen dabei helfen, sich zu beruhigen, weil sie sich mit der Zeit selber helfen können oder weil sie lernen, dass durch Frust auch neue Ideen entstehen. Diese Erfahrungen sind der erste Schritt zur berühmt-berüchtigten Frustrationstoleranz – und Kinder können sie nicht machen, wenn wir ihnen alle Schwierigkeiten aus dem Weg räumen aus Angst, sonst nicht für sie da zu sein. Bindung hat also nichts mit Dauerharmonie zu tun. Vielmehr geht es darum, dass wir dem Kind auch zumuten, Herausforderungen alleine zu bewältigen – im Wissen, dass es sich bei Bedarf jederzeit auf unsere Unterstützung verlassen kann.
3 Anregungen für sichere Bindungserfahrungen
Jemand ist da für mich
Manchmal braucht es für sichere Bindungserfahrungen weniger, als man vielleicht meint. Ihr Kind macht diese Erfahrungen zum Beispiel auch, wenn Sie beruhigend mit ihm reden, leise singen, eine Hand auf seine Brust legen, es liebevoll im Arm haben (ohne zu wiegen oder wippen) oder seine Füsschen halten. Mehr zum Beruhigen und Trösten
Zu eigenem Mut ermutigen
Zur sicheren Bindung gehört auch, dass Kinder spüren: Jemand traut mir etwas zu. Es lohnt sich immer mal wieder auszuprobieren, wie viel Hilfestellung Ihr Kind tatsächlich (noch) braucht. Zu viel gut gemeinte Unterstützung kann Entwicklungsräume einschränken. Wenn Sie die Dosis allmählich reduzieren, kann es die Erfahrung machen: Ich schaffe auch etwas alleine. Bereits Babys können sich bis zu einem gewissen Grad selber beruhigen. Etwa indem sie ihre Hände in den Mund nehmen, an etwas saugen, die Augen schliessen, sich selber ablenken oder ihre Arme überkreuzt eng am Körper spüren.
Konflikte und Frustration gehören dazu
Sichere Bindung bedeutet nicht, dass Konflikte vermieden werden sollen. Frustrationen und Konflikte sind für die Entwicklung wichtig. Zentral ist, dass Sie einen sicheren Hafen bieten und da sind, wenn intensive Gefühle vorhanden sind. Auch, dass Sie einen Rahmen vorgeben und Grenzen setzen. Kinder können und sollen lernen, dass unangenehme Gefühle wie Wut und Frust dazugehören, dass diese Gefühle aber wie eine Welle auch wieder vorbeigehen und mit etwas Übung aushaltbar werden.